„Der Krieg ist zu Ende – die Schule beginnt!“ Zeitzeugengespräch zu Befreiung, Schulalltag und Entnazifizierung

Zum 80. Jahrestag des „Tags der Befreiung“ veranstaltete der Wahlpflichtkurs Geschichte unter der Leitung von Herrn Simon ein Zeitzeugengespräch, in dem drei Zeitzeuginnen, die selbst die Droste in den Jahren 1945 bis 1952 besucht hatten, von ihren persönlichen Erlebnissen aus der Nachkriegszeit berichteten.

Ihre Erinnerungen vermittelten einen eindrucksvollen Einblick in das Leben unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg und machten deutlich, wie sehr diese Zeit von Entbehrung, Armut, aber auch von Menschlichkeit geprägt war. In drei Gesprächsrunden zu den Themen „Stunde Null“, Schulalltag sowie Demokratisierung und Entnazifizierung wurden verschiedene Aspekte des damaligen Lebens beleuchtet. Eingeleitet wurden die Gesprächsrunden durch Zeitzeugnisse aus dem Schularchiv, die Schülerinnen und Schülern des Wahlpflichtkurses vortrugen.

Es wurden viele persönliche Geschichten von den drei Zeitzeuginnen Ilse Heyn, Waltraud von Schaewen-Scheffler und Irene Bindel erzählt. Zum Beispiel berichtete Ilse Heyn von einem prägenden Erlebnis mit einem russischen Soldaten: Dieser nahm sie als kleines Kind plötzlich auf den Arm und lief mit ihr davon, was bei ihrer Mutter große Angst auslöste. Doch kurze Zeit später brachte er das Mädchen zurück – in ihren Händen hielt sie ein Stück Brot. Diese Geste war Ausdruck von Mitgefühl in einer Zeit großer Not. Irene Bindel erinnerte sich an eine Begegnung mit einem amerikanischen GI. Der GI schenkte ihr einen orangefarbenen Ball. Beim Spielen bemerkte sie jedoch, dass der „Ball“ nicht sprang. Ihre Mutter klärte sie schließlich auf: Es handelte sich nicht um einen Ball, sondern um eine Orange – eine Frucht, die sie zuvor noch nie gesehen hatte.

Waltraud v. Schaewen, Ilse Heyn, Irene Bindel (v.l.n.r.)

Auch von der Vertreibung aus dem eigenen Zuhause wurde berichtet. Eine der Frauen erzählte, wie ihre Familie ihr Haus verlassen musste, als die amerikanischen Truppen einmarschierten. Die Zeitzeuginnen beschrieben dabei auch die unterschiedlichen Verhaltensweisen der Soldaten: Während russische Soldaten wohl sehr schön sangen, gaben amerikanische Soldaten den Kindern Süßigkeiten. Eine besonders bewegende Geschichte stammte von Irene Bindel, deren Vater Jude war und im Gefängnis Plötzensee ums Leben kam. Obwohl sie christlich erzogen worden war, erlebte sie in der Nachkriegszeit an der Droste starke Diskriminierungen durch eine Lehrerin aufgrund der Herkunft ihres Vaters. Dies führte letztlich dazu, dass sie die Schule vorzeitig verlassen musste und kein Abitur machen konnte.

Auch der Schulalltag in der Nachkriegszeit wurde thematisiert. Die Zeitzeuginnen erinnerten sich an überfüllte Klassen mit bis zu 40 Schülerinnen und Schülern, an eine fensterlose Turnhalle sowie an einen großen Schulgarten, in dem die Schüler auch in „Gartenkunde“ unterrichtet wurden. Dieser Teil des Gesprächs war besonders interessant, da es heute ganz anders aussieht: Der Garten existiert heute nicht mehr, und die Turnhalle hat inzwischen Fenster. Es war sehr spannend zu hören, wie unsere Schule vor 80 Jahren ausgesehen hat. In den Wintermonaten war es häufig so kalt, so dass der Unterricht stark eingeschränkt wurde.

Ein weiteres sehr interessantes Thema waren die sogenannten Schulspeisungen, bei denen das Essen ausschließlich für die Kinder bestimmt war. Dennoch teilten diese ihr Essen gelegentlich mit den Lehrkräften. Besonders in Erinnerung blieb die sogenannte „Kekssuppe“, in der sich manchmal Maden befanden. Als besondere Ausnahme galt Pudding, der nur selten ausgegeben wurde. Auch die Freizeitbeschäftigung wurde in einer der Gesprächsrunden thematisiert. Es gab sogenannte amerikanische Jugendclubs, in denen Kinder ihre Freizeit verbringen konnten. Dort konnten sie nähen, backen oder andere Dinge lernen und mit anderen Kindern spielen. Während Waltraud von Schaewen diese Angebote regelmäßig wahrnahm, bevorzugte Ilse Heyn, auf der Straße zu spielen.

Erst in den 1960er Jahren begann eine tiefere Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Die Zeitzeuginnen berichteten übereinstimmend, dass sie während ihrer Schulzeit kaum etwas über die familiären Hintergründe ihrer Mitschüler erfuhren. Erst viele Jahre später – bei Klassentreffen – kamen Details ans Licht, beispielsweise, dass ein ehemaliger Mitschüler jüdischer Herkunft war, während dessen enger Freund ein „ganz schlimmer Nazi war und ist“.

Letztendlich lässt sich sagen, dass das Zeitzeugengespräch einen authentischen Einblick in das Leben von Kindern und Jugendlichen nach dem Zweiten Weltkrieg bot. Die Erzählungen machten deutlich, wie stark der Alltag von Mangel, Angst und Unsicherheit geprägt war – aber auch, wie bedeutungsvoll kleine Gesten der Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit sein konnten. Die persönlichen Erfahrungen der Zeitzeuginnen halfen dabei, historische Fakten mit menschlichen Schicksalen zu verknüpfen und so ein tieferes Verständnis für diese Zeit zu gewinnen. Die Reaktion des Publikums fiel sehr positiv aus, da man während des Gesprächs jederzeit durch Fragen zur Unterhaltung beitragen konnte – was viele auch taten.

Mathilda Heidemann, WPU 10 Geschichte