Tschechow im Theaterkeller

Vom 21. bis 23. Januar wurde in der Droste vom Theaterkurs des Abiturjahrgangs (Leitung:Dr. Martin Ganguly) Anton Tschechows „an der großen Straße“ im Theaterkeller gespielt.

Mit 24 Jahren, als er gerade sein Diplom als Arzt erhalten hatte, schrieb Anton Tschechow 1884 den Einakter „An der großen Straße“, eines seiner ersten Stücke. Die Tendenz, die Fabel auf ein Minimum zu reduzieren, die später zu einer Art Markenzeichen des Dramatikers wird, zeichnet sich hier schon ab.

Originalstory: Es ist eine Nachtasyl-Situation: Gestrandete, Pilger, Mittellose abends bei einem Gewitter in einer Kneipe. Unter ihnen der ehemalige Gutsbesitzer Borzow, ein menschliches Wrack. Er scheint sich nur noch für das nächste Glas Wodka zu interessieren, das der hartherzige Wirt ihm verweigert, da Borzow keine Kopeke besitzt. Tschechow aber interessiert sich für die Geschichte dieses Gestraften, die ein „Durchreisender“ namens Kusma aufdeckt. Borzow hatte einmal viel Geld und eine Frau, die ihn gleich nach der Hochzeit verlassen hat. Das ist beinahe schon alles. Am Schluss taucht auch noch die Ehemalige persönlich auf, und es geschieht…. Ein schmerzhaftes gegenseitiges Erkennen, das vom Leiden nicht erlöst, sondern es vertieft.

In dieser Inszenierung spielt das Geschehen in einer psychiatrischen Klinik (in der Vorbereitung war u.a. “Einer flog übers Kuckucksnest” ein korrespondierender Themenaspekt).

Stimmen aus dem Publikum:

Die Schüler:innen des Droste-Hülshoff-Gymnasiums haben unter der Leitung von Herrn Dr. Ganguly in der Inszenierung von Anton Tschechows Stück eine beeindruckende Bühnenpräsenz bewiesen. Mit nuanciertem Spiel und mutigen Deutungen gelang es ihnen, die inneren Konflikte der Figuren spürbar zu machen. Durch kluge Bewegungen im Raum entstand eine eindringliche Atmosphäre, die die emotionale Spannung des Stücks verstärkte. Die Aufführung zeigte nicht nur das Talent der jungen Schauspieler:innen, sondern auch den pädagogischen Wert solcher Inszenierungen: Sie förderte Ausdrucksstärke, Teamgeist und ein tiefes Verständnis für die klassische Literatur. Ein Abend, der bewies, dass Tschechows Dramen auch in jungen Händen lebendig und berührend bleiben.
Antoneta Berisha, Schulleiterin des John-Lennon-Gymnasiums, Berlin-Mitte

Anton Tschechows fragmentarisch anmutender Einakter, einst von der russischen Zensurbehörde als „finster und schmutzig“ abgelehnt, wird von Martin Ganguly und seinem überzeugenden Ensemble atmosphärisch stark zum Leben erweckt. Was zunächst wie eine absurde Spielwelt wirkt, in der Impressionen nur lose zusammenhängen, fügt sich schließlich zu einer beeindruckenden, und ganz und gar zeitaktuellen Geschichte. Besonders hervorzuheben ist die minimalistische visuelle Umsetzung, die sich vor den großen Bühnen dieser Stadt nicht zu verstecken braucht. Ganguly gelingt es erneut, eine Inszenierung auf höchstem künstlerischem Niveau zu präsentieren – ein Glücksfall nicht nur für das Droste-Hülshoff-Gymnasium, sondern für die gesamte Schultheaterszene Berlins.
Martin Dorr, Fachleiter Darstellendes Spiel/Film an der Carlo-Schmid-Oberschule, Berlin-Spandau

Anton Tschechows Theaterstück setzt sich mit tiefgründigen und schwierigen Themen auseinander. Es war beeindruckend zu sehen, mit viel Begeisterung, Talent, und intensive Spielfreude sich die jungen Darsteller:innen an diese Themen heranwagten und den Zuschauenden dadurch einen rundum gelungenen und anregenden Theaterabend bescherte, der noch lange nachwirken konnte. Dr. Martin Ganguly hat es in seinem Kurs Darstellendes Spiel/ Modellprojekt Lebenskunde erneut geschafft, den Akteur:innen ein Lernumfeld zu bieten, sich auszuprobieren und über sich hinauszuwachsen. Der Inszenierung gelingt es von Anfang an, das Publikum zu fesseln, die einstündige Aufführung war keine Minute langweilig. Das karge Bühnenbild und die Sound- und andere Effekte führen gleich in die Geschichte hinein. Auf dem Boden lose verteilte Zeitungen erzeugen den Eindruck von Düsternis, Verwahrlosung, Vergänglichkeit, Obdachlosigkeit und Elend. Die Bühnentechnik wird ebenfalls perfekt von einem Schüler:innenteam ausgeführt. Es war schön zu erleben, wie selbstbewusst die jungen Schauspieler*innen diesem historischen Text neues Leben einhauchten und berechtigterweise sehr stolz waren auf diese gelungene Aufführung.
Elke Zitting, Franziska Jahn, Lisa Kleinevoss, Referentinnen des Humanistischen Verbands/Lebenskunde

Die jungen Schauspielerinn und Schauspieler gehen mit diesem Stück an sehr dunkle Orte. Sie verkörpern Menschen mit wilden Leidenschaften, verwirrten Träumen, verpfuschten Leben. Sie machen das mutig, mitreißend und präzise, in einer Inszenierung, die atmosphärisch und kompakt ist und die Bühne voll nutzt. Es war ein berührender und kluger Theaterabend.
Pfarrer Christian Engels, Leiter des evangelischen Zentrums für entwicklungsbezogene Filmarbeit (EZEF) und der Filmkulturellen Arbeit der EKD

Als wir 2022 erfahren haben, dass wir „Auf der großen Straße“ mit unserem DS Kurs pandemiebedingt nicht aufführen können, war das schon sehr,sehr schade. Deswegen war es jetzt umso schöner zu sehen, dass es das Stück doch noch auf die Bühne der Droste geschafft hat. Ich habe mich sehr gefreut zu sehen, dass einige Ideen, die wir damals im Kurs entwickelt haben, weitergeführt und -entwickelt wurden. Dazu kamen außerdem natürlich viele neue Ideen und die Kombination aus beiden hat ein schönes Zusammenspiel ergeben. Ich finde vor allem, man konnte wirklich sehen, dass die Beteiligten alles gegeben haben und sich wirklich mit dem Stück und den Rollen beschäftigt wurde!
Johanna Schmiedecke, Abiturientin des Droste-Hülshoff-Gymnasiums 2022

Die Luft ist dick vom Nebel, nur vom Scheinwerferlichter durchbrochen. Die Schauspielenden sind auf Position, Musik tönt aus den Lautsprechern. Wenn dann die ersten Worte ertönen und sich Tschechows Geschichte von Wahnsinn, Sucht und Apathie bahnbricht, verwandelt sich der Theaterkeller urplötzlich in eine mysteriöse Nervenheilanstalt voll zerbrochener Nachtgestalten. Der DS-Kurs verbindet Tschechows Portrait des verarmten ländlichen Russland der Zarenzeit gekonnt mit Miloš Formans „Einer Flog über das Kuckucksnest“. Insbesonders nach der coronabedingt ungewöhnlich langen Entstehungsgeschichte von AN DER GROßEN STRASSE war es eine Augenweide, das Stück endlich auf der Bühne sehen zu können. Einen Dank an alle Beteiligten!
Pablo Salinas, Abiturient des Droste-Hülshoff-Gymnasiums 2022